Neue Herausforderungen in der Handelslogistik

Die Trendstudie Handelslogistik 2012 erfasst jährlich die Herausforderungen und Entwicklungen in der Branche. Wir stellen die wichtigsten Ergebnisse in der Übersicht vor.

Die logistischen Prozesse zwischen Industrie und Handel bewegen sich in dynamischen Feldern. Höhere Transportkosten durch steigende Rohstoff- und Mautpreise bringen die Partner unter Preisdruck; eine optimale Zeitfenstersteuerung und die Zahl an Rampenkontakten wird immer relevanter; der Anteil am Online-Vertrieb steigt kontinuierlich, während die Lösungs- und Lagerkonzepte dafür sehr unterschiedlich aussehen; und der Mangel an Fachkräften erfordert weitere Weiterbildungsangebote und gezieltes Recruiting.

Trendstudie Handelslogistik 2012 veröffentlicht

Diese und einige Aspekte mehr beschäftigen die Akteure der Handelslogistik, müssen sie doch täglich die globale Herstellung mit der lokalen Verfügbarkeit verbinden. Um den Stand der Dinge in der Handelslogistik zu beschreiben und Trends herauszufiltern, stellten das EHI Retail Institute und das Fraunhofer IML wie jedes Jahr im März die Trendstudie zur Handelslogistik vor. Die Studie untersucht alle 12 Monate, welche Einflussfaktoren Handel, Hersteller und Dienstleister veranlassen, ihre Logistik hinsichtlich zukünftiger Anforderungen zu überprüfen.

Manche Ergebnisse waren zu erwarten oder haben sich im Vergleich zum Vorjahr kaum geändert. Andere Aspekte wiederum überraschen und spiegeln Branchenthemen der letzten und kommenden Monate wider.

Transportkosten das entscheidende Thema

Transportkosten sind der Dreh- und Angelpunkt in der Lieferkette. Während sie für Hersteller weniger relevant sind, da sie meist im Full Truck Load-Bereich arbeiten und zentrale Handelslager versorgen, werden sie für den Handel zur wichtigsten Größe bei der Optimierung. Schließlich müssen die LKWs vom Zentrallager aus seine Filialen mit kleinteiligeren Sendungen bestücken und verbuchen damit eine höhere Stoppzahl. Für 81% der befragten Handelsunternehmen ist dieses Thema sehr wichtig (2011: 64%), die Sensibilität hat sich offensichtlich deutlich verschärft.

Es wird vermutet, dass der Handel daher die Beschaffungslogistik weiter ausbauen wird, um Kostenfaktoren in der Lieferkette steuern zu können. Dabei nimmt er Einfluss auf die Beschaffungsprozesse der Hersteller und verlangt eine hohe Verfügbarkeit der Waren bei zugleich möglichst geringen Beständen. Für Hersteller bedeutet das: mehr Rampenkontakte, längere Warteschlangen, und mögliche Synergieverluste , da sie in höherer Taktfrequenz kleinere Mengen anliefern müssen. Im Handel nutzen bisher bereits 60% diese  Möglichkeit, 21% wollen es zukünftig umsetzen.

Dynamik der Märkte erfordert Flexibilität in der Handelslogistik

Beide Partner der Logistikkette stehen unter Veränderungsdruck. Während der Handel seine Geschäftsfelder erweitern, sein Sortiment anpassen und neue Vertriebskonzepte realisieren muss, stehen Hersteller bei der Produktentwicklung unter Innovationsdruck bei zugleich sinkenden Lebenszyklen, kürzeren Vertragslaufzeiten und steigender Produktpiraterie. Zudem zeigen die Konsumenten ein stark schwankendes Nachfrageverhalten, das sich aufgrund mangelnder Informationen entlang der Lieferkette zum Bull-Whip-Effekt¹ hochschaukeln kann.

Direkte Maßnahmen für dieses Spannungsfeld zu finden ist nicht einfach. Doch der Informationsfluss zwischen den Partnern kann zum Beispiel durch IT-Lösungen wie ein Daily Forecasting verbessert werden und wird von 95% der Händler und 87% Prozent der Hersteller bereits eingesetzt. Sie versprechen sich davon eine Prognoseverbesserung von bis zu 40%.

Auch die Optimierung der Warenanlieferung wird als Meilenstein bei der effizienten Logistik betrachtet. So nutzen 69 % der Handelsunternehmen Zeitfenster-Steuerungssysteme (2011: 59%), 24% planen derartige Maßnahmen in naher Zukunft.

Wettbewerb oder Kooperation?

Die Wettbewerbssituation im Handel ist äußerst angespannt, die Profilierung über den Preis gerade im Marketing und Vertrieb des Handels extrem ausgeprägt. Entlastungen könnten Kooperationen bei der Warenanlieferung bieten, doch solche Potenziale werden weniger vom Handel, mehr jedoch bei den Herstellern realisiert. Immerhin stufen hier 87% der Befragten die Entwicklung von Kooperationspotenzialen als wichtig oder sehr wichtig ein. Doch auf beiden Seiten werden konkrete Maßnahmen noch zu wenig umgesetzt, wobei Hersteller zumindest in Kategorien wie dem Outsourcing von Lagerstandorten bereits das Potenzial versuchen zu nutzen.

Das grüne Gewissen fährt mit

Kaum ein Unternehmen kommt ohne Nachhaltigkeitsstrategie aus, jedes versucht sich mit einem der bekannten Zertifikate wie FLP MSC, FSC, Fairtrade etc. zu zertifizieren. Schließlich fordern Kunden, Partner, Lieferanten und Öffentlichkeit zunehmend ein „grünes Gewissen“, das in die Tat umgesetzt werden soll. So besteht z.B. durchaus Interesse an alternativen Antriebstechnologien für LKWs – wenn sie denn bereits Serienreife hätten. Immerhin laufen inzwischen Pilotprojekte, die den gewerblichen Einsatz von Elektro-LKWs testen.

Ein Markt, der sich rechnen könnte: planen doch 61% der Hersteller, die Flotte aus Kosten- und Imagegründen ganz oder teilweise umzurüsten. Bis dahin sollen ein Fuhrparkmanagement und Programme zur Tourenoptimierung den Treibstoffverbrauch, CO2-Ausstoß und Fahrzeugverschleiß reduzieren.

Urbanisierung als logistische Herausforderung

Deutschland belegt laut Studie mit 17 von insgesamt 125 Metropolräumen einen Spitzenplatz im europäischen Vergleich. Diese Entwicklung birgt spezielle Herausforderungen: die Infrastruktur wird überfordert, es herrschen Platzmangel sowie Lärm- und Luftbelastungen. Ein Problem, das vor allem den Handel betrifft, muss er doch eine reibungslose Innenstadtbelieferung realisieren. Die Verzögerungen bedeuten Zeitdruck, was dazu führt, dass unterausgelastete Fahrzeuge die Innenstädte anfahren, dadurch noch mehr Verkehr verursachen sowie mehr CO2 produzieren.

Beinahe 70% der Handelsunternehmen arbeiten daher inzwischen mit neuen Transportzeitmodellen (z.B. Nachtanlieferungen) oder bereiten sie gerade vor. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das einen rapiden Anstieg um 12 Prozentpunkte und zeigt die Dringlichkeit dieser Entwicklung.

Gute Mitarbeiter händeringend gesucht

Der Mangel an qualifiziertem Personal betrifft sowohl Handel, Hersteller und Dienstleister und hinterlässt laut Studie bereits seine Spuren. Die Unternehmen versuchen gegenzusteuern, indem sie Arbeitsplätze ergonomischer gestalten, Gesundheitsprogramme ausbauen und auf flexible Arbeitszeitmodelle setzen (Handel 86%, Hersteller 91% aller Unternehmen). Durch Aus- und Weiterbildungen qualifizieren über 80% der Befragten ihr Personal weiter, zugleich sind Recruiting-Aktionen im Vergleich zum Vorjahr um 10 Prozentpunkte auf 45% gefallen.

Technologisch mit Konsumenten Schritt halten

Noch in diesem Jahr soll der Marktanteil von Smartphones auf gut 50% steigen, während der Anteil des Online-Handels jährlich zweistellig wächst. Der Konsument ist daher über neue Vertriebswege erreichbar, für die der Weg geebnet werden muss. Daher entwickeln die meisten Hersteller und Händler verbraucherbezogene Smartphone-Anwendungen und bewegen sich in den sozialen Medien. Denn die Bedeutung des Online-Shoppings und der Kundeninformationssysteme steigt weiter – die logistische Realisierung dieses Bedarfs wird jedoch unterschiedlich gehandhabt.

Während Hersteller die Integration ihres Online-Angebots in bestehende Lagerstandorte erwägen, streben Handelsunternehmen mehrheitlich das Outsourcing der Logistik für das ecommerce-Segment an.

Einigkeit bei den wichtigen Rahmenbedingungen

Wirft man zusammenfassend einen Blick auf die Top 10 der wichtigsten Rahmenbedingungen aus Sicht von Händlern und Herstellern, stellt man fest, dass die ersten 6 Plätze von den gleichen Aspekten belegt werden (wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung). Dazugesellt haben sich im Vergleich zu 2011 Aspekte wie die Restriktionen bei der Innenstadtbelieferung sowie die steigenden Anforderungen an den Verbraucherschutz.

Die Verlagerung dieser wichtigsten Rahmenbedingungen aus Sicht der Branchenakteure sowie der Anstieg von „Dauerbrennern“ wie Transportkosten beweisen, welchen dynamischen Schwankungen und Veränderungen die Branche ausgesetzt ist. Daher gilt es, jetzt und in Zukunft alle denkbaren Prozesse weiterhin so zu optimieren, dass alle Partner am Markt bestehen und die Bedürfnisse der Kunden befriedigen können.

Die ausführliche Trendstudie Handelslogistik 2012 kann hier kostenpflichtig bestellt werden.

¹ Bull-Whip-Effekt

Der Effekt tritt auf, wenn entlang einer Logistikkette Schwankungen  bei Bestellmengen und Beständen auftreten, die um so stärker werden, je weiter man sich vom Endkunden entfernt.

Vereinfacht gesprochen: Sinkt zum Beispiel die Nachfrage nach einem Produkt beim Einzelhänder, geht er davon aus, dass es in der nächsten Periode wieder mehr Bestellungen geben wird. Er bunkert seine Restware und bestellt entsprechend weniger Neuware beim Großhändler, kommuniziert jedoch nicht, dass er in Zukunft durchaus wieder mit einer steigenden Nachfrage rechnet. Der Großhändler reagiert, indem er noch weniger Produkte beim Hersteller ordert, schließlich befinden sich ja bereits Lieferungen auf dem Weg, die erst einmal verkauft werden müssen. Der Hersteller wiederum reagiert und drosselt seine Produktion. Bis diese Information bei ihm jedoch angekommen ist, steigt der Bedarf im Einzelhandel jedoch wieder und dreht den Spieß – bzw. die Peitsche – um. Solch ein Prozess kann sich aufgrund mangelnder Kommunikation zwischen einzelnen Stufen in der Logistikkette potenzieren.