Flexibel und sicher – ein Widerspruch?
Welche Anforderungen hat ein zunehmend automatisiertes Lager an die Sicherheit – und welche Hürden müssen für Lösungen wie 5G überwunden werden? Vier Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Bereichen der Logistik diskutieren bei „Thesen am Tresen“ über Sicherheit im Warenlager – und was Datennetze damit zu tun haben.
Der Zaun ist weg. Lange Zeit arbeiteten Roboter und automatisierte Systeme in abgetrennten Bereichen – heute assistieren sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Lager direkt. „Aber sobald Mensch und Technologie gemeinsam auf einer Fläche arbeiten, braucht es Sicherheitssysteme“, sagt Andreas Höll, Technical Industry Manager bei SICK. Die wiederum müssen teils individuell entworfen werden, sind kostspielig – und wären nicht notwendig, wenn das Lager vollautomatisiert ist. Davon aber ist die Intralogistik noch ein Stück entfernt. Ihre Herausforderung: Viele Prozesse sind zu komplex und zu vielseitig, um komplett automatisiert zu werden. Die wenigsten Warenlager lagern ausschließlich würfelförmige Produkte, die leicht von Robotern zu handhaben sind. „Wir wollen autonom sein, autonom werden, aber die menschliche Hand kann man nicht so einfach ersetzen“, sagt Ansgar Bergmann, Projektmanager im Bereich Technologie und Innovation.
„Sicherheitstechnik neu denken“
Die Debatte ist Teil von „Thesen am Tresen“, einer mehrteiligen Diskussionsrunde, die STILL im Rahmen des Deutschen Logistik Kongresses 2021 organisiert hatte. In diesem Fall rund um das Thema Sicherheitstechnik und die Kernfrage: Wie lassen sich aktuelle Systeme verbessern – und wohin entwickeln sie sich? Einen „Spagat“ nennt Höll die Situation, in teilautomatisierten Lagern für die bestmögliche Sicherheit zu sorgen, wo menschliche Mitarbeiter am besten auf variable Prozesse reagieren können, aber dadurch konsequenterweise ständig unvorhergesehene Situationen entstehen.
Hinzu kommen noch die Bedürfnisse von Logistikdienstleistern, Geräte flexibel an verschiedenen Orten einsetzen zu können: „Alles, was im Boden verbaut oder fest verschraubt ist, ist kompliziert und komplex und ich kann es nicht mitnehmen“, sagt Erik Wirsing, Vice President Gobal Innovation bei DB Schenker. Das treibe schnell die Kosten in die Höhe.
„Sicherheitstechnik neu denken“, schlägt Höll deswegen vor. Historisch habe man mit den Sicherheitsanforderungen oft nur reagiert – jeder Schritt, den die Roboter aus ihren Zäunen heraus machten, wurde anschließend mit einem Sicherheitskonzept beantwortet. Diese Denkweise müsse umgedreht werden: „Es darf nicht mehr darum gehen, wie ich das AGV absichere – sondern um die Frage, in welchem Kontext das AGV steht“, sagt er. Höll wünscht sich weniger einzelne Komponenten, dafür ganzheitliche Konzepte, die letztlich individuell für jedes Lager sind. Eine Sichtweise, der Logistikdienstleister Wirsing aus seiner Praxis widerspricht: „Wir wollen gar nicht so viel Individualprogrammierung“, sagt er. Der beste Kompromiss seien Bausteine und Komponenten, die man auf die eigenen Prozesse anpassen könnte: „Weg vom Programmieren, mehr Konfigurieren.“
Software macht es flexibler
Der Schlüssel für passgenauere Lösungen sei Software, sagt Bergmann. Dadurch seien die Dinge zuletzt deutlich in Bewegung geraten: „Software macht es flexibler.“ Technische Lösungen wie Sensoren oder Fahrzeuge könnten auf den konkreten Anwendungsfall angepasst werden. Allein die heutigen Flottenmanagementsysteme seien um ein Vielfaches leistungsfähiger als die ersten Vertreter ihrer Gattung. Je mehr aber Daten, Digitalisierung und autonom agierende Geräte ins Spiel kommen, desto drängender stellt sich die Frage eines leistungsstarken und schnellen Netzwerks. „Mit Wireless-Technologie lässt sich kein AGV rechtzeitig stoppen“, formuliert es Höll.
Die Antwort lautet 5G – seit vielen Jahren im Gespräch, aber noch immer nicht so weit, wie es angesichts der öffentlichen Diskussion oft den Anschein erweckt. „Das wird auch noch dauern, bis die Netze wirtschaftlich zu betreiben sind“, sagt Alice Kirchheim, Professorin für Logistics Systems Technology an der Helmut-Schmidt-Universität. Was die Unternehmen benötigen sind sogenannte „Campus-Systeme“, also Netzwerke auf dem eigenen Gelände, die nicht an den öffentlichen 5G-Bereich angeschlossen sind. Diese erlauben dann nicht nur schnelle Übertragungen, sondern ermöglichen zum Beispiel auch, den Datenströmen für AGVs Prioritäten einzuräumen. „Dann können wir kabelgebundene Sicherheitssysteme ersetzen“, sagt Kirchheim.
Logistik ist systemrelevant
Herausforderung dabei: Je mehr Daten gesammelt werden, desto häufiger stellt sich auch die Frage, wer diese Informationen zu welchem Zweck speichert. Insbesondere in Europa seien Datenschutzrichtlinien eine gewisse Herausforderung, wenn autonom agierender Fahrzeuge im Umfeld realer Personen trainiert und verbessert werden sollen, räumt auch Bergmann ein: „Man hat eine Übersensibilisierung erzeugt“, sagt er: „Am Ende funktionieren solche Systeme aber nur zuverlässig, wenn sie eine große Datenbreite erfasst haben.“
Einen Vorteil aber bewirkten die insbesondere in Deutschland strengen Datenschutzrichtlinien, sagt Wirsing: „Wenn etwas hier zugelassen wird, hat es das Prädikat besonders sicher zu sein.“ Und sobald es einen erkennbaren Mehrwert für Mitarbeitende biete, sei durchaus Bewegung erkennbar: Im Zuge der Pandemie zum Beispiel waren Menschen in vielen Lagerhallen beispielsweise mit Bewegungssensoren ausgestattet worden, um im Falle einer Infektion Kontaktpersonen zu identifizieren. „Dann musste man nicht die ganze Schicht nach Hause schicken“, sagt Wirsing. Darüber hinaus sei Datensicherheit schließlich auch im wahrsten Sinne des Wortes – ein Sicherheitsaspekt. Gezielte Hackerangriff auf vernetzte Systeme nehmen jährlich zu, und wenn hier einzelne Bereiche nicht mehr funktionierten, sei schnell das gesamte System lahmgelegt: „Dann stehen LKWs, Züge und Flugzeuge“, sagt Wirsing: „Und dann merkt auch der Letzte, dass Logistik systemrelevant ist.“
Nicht zu lange warten
Autonom agierende Fahrzeuge und Robotik-Anwendungen sind also möglich, profitieren von Innovationen in der Netzwerktechnologie – das grundsätzliche Problem in der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine aber bleibt: Je variabler die Faktoren, desto anspruchsvoller wird die Herausforderung an Sicherheitskonzepte. Gleichzeitig warnt Bergmann aber davor, mit der Automatisierung des Lagers zu warten, bis vollautomatisierte Systeme perfektioniert sind: „Wenn wir bis dahin warten, wird uns viel Erfahrung verloren gehen“, sagt er und ruft die Kunden auf: „Fordert uns so früh wie möglich – gerne mit Teilautomatisierung!“
Die Aufzeichnung zum STILL Logistik-Talk
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